
Die neue Arzneimittelstrategie der Europäischen Union
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Vor fast einem Jahr, im Frühjahr 2020, wurde in Europa schmerzlich deutlich, dass wir zwar eine Union von 27 Mitgliedsstaaten sind, aber in Krisenzeiten nicht an allen Fronten zusammenarbeiten. Im Kampf gegen die Corona-Pandemie schienen wir sogar gegeneinander zu arbeiten, indem wir als einzelne Länder die Grenzen schlossen und uns mit Ressourcen wie Mundschutz eindeckten, so dass es anderswo knapp wurde. Am 16. September 2020 gab die Europäische Kommission bekannt, dass sie diese Entwicklungen als höchst unerwünscht ansieht, und in ihrer jährlichen Rede zur Lage der Union kündigte die Kommissionsvorsitzende Ursula von der Leyen eine verbesserte Zusammenarbeit im Gesundheitswesen an. Ein wichtiger Teil dieser verbesserten Zusammenarbeit ist eine neue Arzneimittelstrategie. Diese Strategie, die in einem 30-seitigen Dokument festgehalten ist, beinhaltet die Entwicklung von Gesetzen, Richtlinien und Vorschlägen bezüglich der Produktion, des Einkaufs und des Verkaufs von Medikamenten innerhalb der Europäischen Union.
Hier sind die fünf wichtigsten Punkte:
1. Engpässe bei der Versorgung mit Medikamenten verhindern
Seit Jahren kämpft Europa mit Engpässen bei Medikamenten mit bestimmten wichtigen Wirkstoffen. Dies spiegelt sich regelmäßig in der Nichtverfügbarkeit von Medikamenten wider, wie z.B. Medikamente zur Behandlung von Bluthochdruck, Depressionen, Parkinson und Antibabypillen. Der Hauptgrund dafür ist, dass diese Medikamente bzw. deren Grund- oder Wirkstoffe nicht aus Europa, sondern aus Ländern wie China und Indien stammen. Durch die Steigerung der Produktion in Europa kann die Abhängigkeit von diesen Ländern der Dritten Welt reduziert werden. Die Produktionskosten sollten hier nicht das Hauptthema sein.
2. Alle europäischen Bürger haben Zugang zu Medikamenten
Neuere Untersuchungen haben gezeigt, dass nicht alle Medikamente in allen EU-Ländern auf den Markt kommen. Dies liegt daran, dass die Hersteller dazu nicht verpflichtet sind. Darüber hinaus haben die meisten Hersteller langfristige Patente auf ihre Produkte, was es anderen Herstellern unmöglich macht, billigere Versionen desselben Medikaments auf den Markt zu bringen. Infolgedessen sind die Kosten für Medikamente manchmal so hoch, dass sie nicht bezahlt werden können und die Patienten darunter leiden. Die EU will nun durch Richtlinien den Wettbewerb fördern und eine einheitlichere Preispolitik betreiben, wobei alle 27 EU-Länder als eine einzige Marktmacht auftreten.
3. Förderung von Forschung, Innovation und Nachhaltigkeit

Seit Jahren wird viel Forschung in die Entwicklung neuer Medikamente gesteckt. Diese orientiert sich aber nicht immer an den Bedürfnissen des Patienten, sondern meist daran, ob ein Medikament viel Geld einbringt. Besonders in den Bereichen Kinderkrebs, seltene neurodegenerative Erkrankungen und antimikrobielle Resistenzen hinkt die Forschung hinterher, weil die Patientengruppe zu klein ist, um gutes Geld zu verdienen. Die EU will einen Vorschlag, der 2022 vorgelegt werden soll, um die Forschung ausgewogener zu regeln und "kleinere Patientengruppen" einzubeziehen. Außerdem wollen sie die Produktion nachhaltiger und damit umweltfreundlicher gestalten.
4. Einrichtung einer Behörde für die schnelle Reaktion auf Notfälle
Der Ausbruch von COVID-19 zeigte, dass es in Europa keinen umfassenden Plan gab, wie man mit einer grenzüberschreitenden Gesundheitskrise umgehen sollte. Um dies für die Zukunft besser zu organisieren, wird die Health Emergency Response Authority (HERA) ins Leben gerufen. Diese Agentur wird sich nicht nur auf konkrete Notfälle konzentrieren, sondern auch auf die Forschung nach neuen Antibiotika und die Koordination von Produktionskapazität und Nachfrage nach Rohstoffen.
5. Eine einheitliche europäische Gesundheitsdatenbank

Eine einheitliche Datenbank ist eine Voraussetzung für die angemessene gemeinsame Nutzung und den Austausch von Gesundheitsdaten zwischen allen 27 Mitgliedstaaten. Der Gemeinsame Europäische Datenraum (EDHS) wird speziell für diesen Zweck eingerichtet. Voraussetzung dafür ist, dass alle Länder innerhalb der EU ihre eigenen Gesundheitssysteme vollständig digitalisieren. Damit wird ein breiter Rahmen geschaffen, innerhalb dessen die medizinische Versorgung in ganz Europa in Übereinstimmung mit den eigenen Standards und Werten der EU verbessert werden kann.